Das Projekt VARIAGE untersucht, wie sich der Ruhestand als Risikofaktor auf die Sprachverwendung und den Sprachgebrauch einer Person auswirken kann. Damit trägt das Projekt dazu bei, neue Strategien für die Aufrechterhaltung des kognitiven Niveaus zu entwickeln.
Beim Erlernen einer neuen Sprache werden neuronale Netzwerke, die verschiedene Regionen des Gehirns umfassen, entscheidend gestärkt – eine Veränderung, die sich auch positiv auf die kognitiven Fähigkeiten einer Person auswirken kann. Wird eine Person zunehmend älter, spielt sich hingegen der umgekehrte Prozess ab: Die Sprach- und Kommunikationsfähigkeiten nehmen tendenziell ab und die Kommunikation verändert sich. Das ist bedauerlich, erfüllt diese doch für ältere Menschen viele verschiedene Funktionen, darunter die Stärkung sozialer Bindungen, die Gewährleistung von Autonomie und die Steigerung des Wohlbefindens. Umso wichtiger wird es, die Fähigkeit eines Einzelnen, wie man kommuniziert und mit Kommunikationsproblemen während des Übergangs in den Ruhestand umgeht, zu untersuchen.
In den Sozial- und Verhaltenswissenschaften ist gut dokumentiert, wie der Ruhestand die körperliche und geistige Gesundheit einer Person beeinflusst und wie sich die Ausübung eines Berufes auf die kognitiven Funktionen auswirkt. Bislang wenig Beachtung fand hingegen die Frage nach dem Einfluss des Ruhestands auf die Sprachentwicklung und den Sprachgebrauch. Mit dem Forschungsprojekt VARIAGE – «Variation in second language use and development across retirement» untersucht das Team um Prof. Dr. Simone Pfenninger, Professorin für Englische Linguistik an der Universität Zürich (UZH), wie sich der Ruhestand als sozial konstruierter Risikofaktor auf die Sprachgebrauchs- und -erwerbskompetenz von Menschen über 60 Jahren auswirken kann.
«Mit dem Projekt VARIAGE wird erstmalig untersucht, wie sich die Phase der unmittelbaren Pensionierung auf die Kommunikations-fähigkeiten sowohl in der Muttersprache als auch auf eine Zweitsprache wie Englisch oder Französisch auswirkt.»
Prof. Dr. Elisabeth Stark, Professorin für Romanische Sprachwissenschaft und Prorektorin Forschung an der Universität Zürich.
Hierfür lernt eine ausgewählte Gruppe deutscher Muttersprachler, die sich in der Übergangsphase vom Berufsleben in den Ruhestand befinden, während zwei Jahren Englisch oder Französisch und wird während dieser Zeit regelmässig zu kommunikations- und kognitionsbezogenen Aspekten untersucht. Dabei soll festgestellt werden, wie sich die Zielsprache auf das Lernen auswirken kann. Das Ziel der Datenauswertung ist dann wiederum, Hilfsmittel zu entwickeln, um sprachliche und kognitive Fähigkeiten auch im Ruhestand zu erhalten.
Mit VARIAGE werden erstmalig Erkenntnisse über die Auswirkungen des Ruhestandes auf die Kommunikationsfähigkeiten in der Erst- und Zweitsprache gesammelt. Das trägt unmittelbar dazu bei, dass die bestehende Forschung zu Kognition und Spracherwerb entscheidend verbessert und erweitert werden kann. Neben der Forschung profitiert auch die breite Öffentlichkeit vom Projekt: Indem Risikofaktoren für kognitiven Abbau sowie Kommunikationsprobleme identifiziert werden, können Strategien entwickelt werden, die zum Erhalt des kognitiven Niveaus beitragen und damit ein gesundes Altern unterstützen. Die Studie schafft schliesslich auch neue Instrumente und Lehrmaterialien, die von Einzelpersonen, Gesundheitsbehörden, Universitäten und Sprachschulen, die mit älteren Erwachsenen arbeiten, via Open-Access genutzt werden können.
Seit Anfang September ist die Planungsphase abgeschlossen und das Projekt in vollem Gange: Für 52 Teilnehmende im Alter von 63 und 64 Jahren hat der Englischunterricht nun begonnen. Begleitend zum Unterricht werden kommunikations- und kognitionsbezogene Untersuchungen anhand dreissig verschiedener Faktoren durchgeführt.
Das Ziel ist, Risikofaktoren für den kognitiven Abbau zu identifizieren und neue Strategien zum Erhalt des kognitiven Niveaus zu entwickeln.